Frei, freiwillig, interkommunal
1994 waren die gesellschaftlichen, landschaftlichen und umweltpolitischen Folgen des Kohleabbaus seit den 1920er Jahren und von 40 Jahren DDR unübersehbar. Leipzigs erster Umweltbürgermeister Jörg Hannes war Realist und konstatierte: Diese Probleme kann eine Stadt wie Leipzig nicht allein lösen.
Intensiv warb Bürgermeister-Nachfolger Holger Tschense in den Nachbarkommunen für die Idee eines Grünen Rings im Umland, für eine Kooperation, mit der man den Herausforderungen in der Region gemeinsam begegnet. Am 20. September 1996 gründete sich in Baalsdorf aus fünfundzwanzig Kommunen und einem Land- kreis der Grüne Ring Leipzig (GRL) mit einer Umwelterklärung.
Heimat ist, wo wir bleiben!
Die Region war geprägt von Gegensätzen: durch Bergbau zerstörte Landschaft und trotz des Raubbaus erhaltene reizvolle, einmalige Natur- und Kulturlandschaft. Wegen der Schäden durch Tagebaue und Industrie war die Region vorwiegend negativ konnotiert. Leipzigs Einwohnerzahlen – die 2019 über die 600.000er Grenze gingen – sprachen damals Bände: 550.000 (1987), 511.000 (1990), 481.000 (1994), 437.000 (1998). Dass der Kontrast zwischen Zerstörtem und Erhaltenem ein hohes Entwicklungspotenzial bot, war vielen Menschen in der Region kein Antrieb.
Dieses Potenzial genau zu definieren, Projekte zu entwickeln und umzusetzen, war und ist die Aufgabe des Grünen Rings Leipzig: Heimat bewahren, Strukturwandel gemeinsam gestalten, Menschen begeistern – durch die Schaffung einer lebenswerten Region. Bis 1998 entstand das erste Regionale Handlungskonzept RHK mit 25 Schlüsselprojekten: von A wie Agra-Park, mit unzähligen Brachen und zerschnitten durch eine Hochstraße, bis Z wie Zschampert, einem der vielen Fließgewässer, denen die umliegenden Tagebaue das Wasser abgegraben hatten.
Unselbstständig, aber frei!
Der GRL ist ein freier, freiwilliger und unselbstständiger Arbeitskreis. Kein Zweckverband, kein e. V., keine GmbH – sondern ein Zusammenschluss von Kommunen und Landkreisen auf Augenhöhe, der sich seine Rahmenbedingungen und Aufgaben selbst gesetzt hat. Jedes Mitglied ist frei, Ende September eines Jahres „Danke und adieu“ zu sagen und den Grünen Ring Leipzig zu verlassen. Doch mit dem Grünen Ring Leipzig hat die Region einen wirklichen Standortvorteil gegenüber anderen Regionen: Denn Abstimmungen auf Augenhöhe, Kommunikation über die kommunalen Grenzen hinweg, eingeführte Arbeitsgruppen für bestimmte Themen regionaler Entwicklung, konkrete Ansprechpartner und Veranstaltungsformate sind Strukturen, die die Vorbereitung und Umsetzung von Maßnahmen erleichtern. Unberührt bleibt dabei die Planungshoheit der Kommunen.
Die Kontinuität zeigt sich auch darin, dass Leipzigs Bürgermeister Heiko Rosenthal als Sprecher des Grünen Ringes Leipzig bereits seit 2006 in Verantwortung ist.
Parallel zur Dynamik, die in zahlreichen Projekten steckt, ist auch die Mitgliederzahl – bei zwei überstandenen Kommunalreformen – stabil bis positiv dynamisch: 2015 kam die Stadt Pegau, 2018 die Stadt Rötha hinzu.
Motor der Regionalentwicklung
Charakteristisch für die Arbeit des GRL ist der hohe Umsetzungs- und Realisierungsgrad von Projekten. So wurde das RHK1 bereits 2003 und 2014/15 fortgeschrieben.Eine intensive Vernetzung mit Landesministerien, Bewilligungsbehörden, Regionalplanern und anderen Partnern hat dazu geführt, dass der GRL über regionale Grenzen hinaus als Motor der Regionalentwicklung anerkannt ist.
So ist der GRL auch als Projektträger in länderübergreifender Zusammenarbeit mit Sachsen-Anhalt und Thüringen tätig. Für eine Region mit etwa der zweieinhalbfachen Fläche des Saarlandes entstand bis 2014 in einem breiten, Kreis und Ländergrenzen überschreitenden, Beteiligungs- und Abstimmungsprozess ein Gesamtkonzept für die tourismuswirtschaftliche Entwicklung der jungen mitteldeutschen Gewässerlandschaft bis 2030.
Grüner Ring Leipzig
- Größe 3.978 km²
- Einwohner: 1,05 Mio.
- Mitglieder: Belgershain, Böhlen, Borsdorf, Brandis, Großpösna, Leipzig, Markkleeberg, Markranstädt, Pegau, Rackwitz, Rötha, Schkeuditz, Taucha, Zwenkau, Landkreis Leipzig, Landkreis Nordsachsen
- Gründung: 1996
- Grüner Ring Leipzig
Angela Zábojník / Stadt Leipzig, Amt für Stadtgrün und Gewässer
Prager Straße 118-136
04317 Leipzig
Telefon: 0341 123 1611
E-Mail: angela.zabojnik@leipzig.de
Heike König / Geschäftsstelle
Leipziger Straße 6
04451 Borsdorf
Telefon: 0342 91 204 12
E-Mail: geschaeftsstelle@gruenerring-leipzig.de
Radweg als Vehikel
Als interkommunale Kooperation war der Grüne Ring Leipzig anfangs relativ wenigen Menschen bekannt, es sei denn, sie waren in regionalen Verwaltungszusammenhängen unterwegs. Fragte man jedoch auf der Straße jemanden nach dem Grünen Ring Leipzig, so kam oft: „Ach, das ist doch der Radweg. Bin ich schon gefahren. Schön! Aber dort und dort fehlt ein Schild …“. 2016 mauserte sich der Grüne-Ring-Leipzig-Radweg zur Regionalen Hauptradroute II/67 im SachsenNetz Rad.Dranbleiben – lohnt sich
Der GRL hat grundsätzlich ein sehr positives Image - intern und extern. Oft wird er als Vorzeige-Aktionsraum genannt, evaluiert und zitiert. Das Rezept dahinter ist ein guter Mix aus Kontinuität, Verlässlichkeit, Dienstleistung, Durchsetzungskraft und reichlich Projektideen, gepaart mit einem Team, das sich auf sich verlassen kann und Spaß an der Arbeit hat. Natürlich gibt es auch Baustellen: Beispielsweise könnte der GRL bekannter in der Bürgerschaft sein – daran wird dauerhaft gearbeitet. Und beim Projekt Wassertouristisches Nutzungskonzept wird sehr hart um einen sinnvollen Konsens mit den hiesigen Umweltverbänden gerungen.Stadt, Landschaft und Bedürfnisse im Wandel
Mit den wachsenden Zuzugszahlen und dem beschlossenen Ausstieg aus der Braunkohle ist die Region nun mitten im zweiten Strukturwandel. Klimawandel, Dürre und Hochwasser erzwingen neue Rahmenbedingungen. Somit wird diese Form interkommunaler Arbeit nicht obsolet, sondern Vorbild für neue, sich gründende Aktionsräume. Unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse im Raum zu harmonisieren, ist eine riesige Herausforderung. Wie entwickelt man also eine wachsende Stadtregion nachhaltig, ökologisch und sozial, dabei aber wirtschaftlich und abgestimmt? Die Freiraumstrategie der Stadt Leipzig gibt die Richtung für den GRL vor. „Leipzig wächst nachhaltig“ ist das Leitmotiv dieser Konzeption für die grün-blaue Entwicklung der Stadt. Auf strategischer und gesamtstädtischer Ebene sind wichtige Ziele, die Stadtgrün und Gewässer betreffen, im Integrierten Stadtentwicklungskonzept INSEK Leipzig 2030, Fachkonzept Freiraum und Umwelt, abgebildet.Die Entwicklung des öffentlichen Grüns und Blaus ist dabei eng an die Stadtentwicklung gekoppelt und spielt sowohl in konzeptionellen Stadtteilplänen als auch in der Bauleitplanung eine wichtige Rolle. Hier werden die Festsetzungen zu öffentlichem Grün und zur Bebauungsdichte getroffen. Die Freiraumstrategie steht zu - dem im Kontext zahlreicher vorliegender Planwerke und Konzeptionen der Stadt Leipzig sowie des Grünen Rings Leipzig.
Stark durch Konzentration und Innovation
Das gesamte Modell GRL ist nicht in einem Satz zu erklären, aber an sich schon Best Practice. Inhaltlich findet eine Konzentration auf Landschafts-, Wasserund Umwelttechnologie-Themen (Grün/ Blau/Grau) statt; Wohnen oder Wirtschaft stehen trotz mancher Anfragen nicht im Fokus. Um Ausgleichsflächen besser verwalten zu können und den Zugriff für die Kommunen des GRL zu erleichtern, wurde ab 2006 ein netzwerkbasierter Interkommunaler Flächenpool IKOMAN aufgebaut, der gepflegt und ständig erweitert wird. Seit 2012 werden erste praktische Erfahrungen mit diesem Instrument gemacht. Der Ausgleich wird innerhalb des GRL-Gebiets gelenkt: So wird beispielsweise die Porsche-Erweiterung im Norden durch Entsiegelung im Osten in Brandis kompensiert.2011 wurde parallel das IKOBRA – Interkommunales Brachflächenmanagement – aufgebaut. „Der GRL hat die Zeichen der Zeit früher erkannt als andere“, so 2015 Prof. Dr. Arno Bunzel, Stellvertretender Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik.
Es gilt, Akteure zu begeistern und zu binden: mit einem kleinen eigenen Fördertopf, mit zentralen und verlässlichen Ansprechpersonen, mit Dienstleistungen, mit klarer Aufgabenteilung zwischen der Stadt Leipzig (Strategie, Planung, Projekte und Finanzen) und der Gemeinde Borsdorf (PR, AGs, Netzwerk, Radweg), sowie mit gut eingefahrenen Kommunikationssträngen.
Nicht vergessen, woher wir kommen!
Die klar definierten Aufgaben drehen sich vorwiegend um die abgestimmte Schaffung weicher Standortfaktoren, definiert als Projektbündel im Regionalen Handlungskonzept. Doch es gibt immer auch ernste Herausforderungen. Zuströmende NeubürgerInnen beispielsweise finden hier eine sehr anziehende Stadt Leipzig mit lebenswertem Umland, viel Grün und Wasser vor, kennen aber oft nicht den Geschichtsund Entwicklungskontext. So bewegt sich der Diskurs in einer Spanne zwischen „einfach überall rumstiefeln“, „gesteuerter Nutzung von wieder instand gesetzter Natur und vorhandener Kulturlandschaft“ und einem „radikalen alles unter Schutz stellen“. Hier ist viel kluge Kommunikation vonnöten, um sowohl NeubürgerInnen mitzunehmen als auch jene, die Jahrzehnte lang am Tagebau gewohnt haben.Und mitten im zweiten Strukturwandel mit Fachkräftemangel steht uns ein Wissenstransfer bevor: Die „erste-hart arbeitende-Nachwenderiege-in-gelebter regionaler-Verantwortung“ geht bis Ende der 2020er Jahre in den Ruhestand. Ihr Wissen muss sie möglichst gepaart mit ansteckender Begeisterung an die „gefühlte-Teilzeit-und-Work-Life-Balance- Generation“ übergeben. Auf geht’s